Verankerungen unter Einwirkung von Erdbeben

Verankerungen, welche für seismische oder auch Erdbebenbeanspruchung zugelassen sind, müssen eine zusätzliche Prüfung durchlaufen. Die Kriterien hierfür sind im jeweiligen EAD (European Assessment Document = Europäischer Bewertungsdokument) der EOTA (European Organisation for Technical Assessment) beschrieben. 

Grundsätzlich führt ein Erdbeben zu einer erhöhten Gefahr des Auftretens von Rissen in Betonbauteilen. Wenn diese Risse an den Stellen auftreten, an denen Dübel gesetzt wurden, dann weitet sich das Bohrloch auf und der Dübel hat i.d.R. nur noch eine etwas reduzierte Tragfähigkeit. Außerdem erzeugt ein Erdbeben innerhalb kurzer Zeit eine wechselnde Beanspruchung durch die vertikale und vor allem horizontale, wechselnde Beschleunigung des Baugrunds. Deshalb sind mittels Injektionsmörtel verfüllte Ringspalte zwischen den Ankern und den Anbauteilen von Vorteil, da eine geringere Verschiebung der Anbauteile zu erwarten ist.

Es gibt in Europa zwei seismische Leistungskategorien (C1 und C2), welche die Anforderungen an die Anker festlegen. Die etwas geringeren Anforderungen formuliert die Kategorie C1, bei welcher Prüfungen für die Anker in einem Riss der Breite w = 0,5 mm durchzuführen sind. Für die Kategorie C2 ist die zu untersuchende Rissbreite w = 0,8 mm. Größere Rissbreiten müssen vermieden werden, bzw. sind Anker in solchen, sogenannten „plastischen Bereichen“ zu vermeiden.

Nur nachträgliche Bewehrungsanschlüsse und Dübel, welche für Verankerungen in gerissenem Beton als Einzelbefestigungsmittel zugelassen sind, können auch unter seismischer Beanspruchung geprüft und zugelassen werden (Stand: Sept. 2020). Nicht geregelt sind bislang Verankerungen in Mauerwerk oder Dübel für die Mehrfachbefestigung redundanter, nicht tragender Systeme in gerissenem Beton.

Bislang wurden die Anker nach der „European Technical Approval Guideline“ ETAG 001 Annex E (April 2013) bewertet und nach dem „Technical Report“ der EOTA TR 045 (Februar 2013) bemessen.

Mit Erscheinen des Eurocodes 2 Teil 4 kann die Bemessung der Verankerung nun nach dem Teil 4 des EC 2 (DIN EN 1992-4:2019-04) und dem dazugehörigen nationalen Anhang des Eurocodes 2 Teil 4 erfolgen. Für Deutschland ist diese DIN EN 1992-4 zwar noch nicht über die Musterverwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen MVV TB bzw. die jeweilige Verwaltungsvorschrift der Länder (VV TB) als Technische Baubestimmung eingeführt, diese ist aber in naher Zukunft zu erwarten. Die Norm bildet aber bereits den aktuellen Stand der Technik ab. Vor deren Anwendung sollte man dies mit dem zuständigen Prüfingenieur abstimmen.

Nach TR 045 war bislang die Höhe der seismischen Einwirkung, basierend auf der Grundbeschleunigung ag und dem Baugrundfaktor S sowie die Bedeutungskategorie des Gebäudes alleine dafür ausschlaggebend, welche seismische Leistungskategorie der Dübel erforderlich wird. In der noch gültigen MVV TB für Deutschland gilt gemäß Anlage A 1.2.9/1, 2b noch die Aussage, dass in den Erdbebenzonen Deutschlands alle Dübel mit allgemeiner bauaufsichtlicher Zulassung verwendet werden dürfen, die im Hinblick auf die Bemessung der Befestigungen auf den Annex C der ETAG 001 verweisen. Es gelten also keine besonderen Anforderungen an die Tauglichkeit oder Klassifizierung unter Erdbebeneinwirkung. Allerdings werden seit geraumer Zeit keine Zulassungen mehr ausgestellt, welche auf den Annex C der ETA verweisen.

Im EC 2 Teil 4 werden nun zusammen mit dem nationalen Anhang des EC 2 Teil 4 nun auch für Deutschland weitere Anforderungen gestellt. Es ist jetzt nicht mehr so, dass Dübel mit irgendeiner Zulassung in den Erdbebenzonen Deutschlands ausreichen. Aber die Anforderung an die Qualifizierung der Dübel unter seismischer Beanspruchung wurde auch angepasst: So ist nun nicht mehr die Bodenbeschleunigung, der Baugrundfaktor und die Bedeutungskategorie des Gebäudes für die Auswahl und die Bemessung der Dübel maßgebend, sondern – und das ist aus Dübelsicht deutlich sinnvoller – die zu erwartende Rissbreite, die sich unter Erdbebeneinwirkung im Betonbauteil einstellen kann. Die Rissbreite hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Tragfähigkeit der Dübel.

Ist die zu erwartende Rissbreite wk ≤ 0,3 mm, dann werden keine zusätzlichen Anforderungen an die Tragfähigkeit der Dübel unter Erdbebeneinwirkung gestellt und es genügen Dübel, welche eine Europäische Technische Bewertung (ETA) / Zulassung für gerissenen Beton haben. Die Erteilung der Zulassung für solche Dübel fordert bereits Prüfungen in gerissenem Beton mit einer Rissbreite von 0,3 mm und in Sonderfällen, zur Abdeckung der Streuung, auch in Rissbreiten von 0,5 mm.

Ist die zu erwartende Rissbreite wk ≤ 0,5 mm, dann müssen in deutschen Erdbebengebieten Dübel mit einer Qualifizierung für die seismische Leistungskategorie C1 eingesetzt werden.Ist die zu erwartende Rissbreite wk ≤ 0,8 mm, dann müssen in deutschen Erdbebengebieten Dübel mit einer Qualifizierung für die seismische Leistungskategorie C2 eingesetzt werden.

Beträgt die zu erwartende Rissbreite wk ≥ 0,8 mm, dann sind die Befestigungen in solchen sogenannten „plastischen Bereichen“ der Betonbauteile nicht über die DIN EN 1992-4 (EC2-4) abgedeckt.

Im Nationalen Anhang des EC2-4 (DIN EN 1992-4/NA:2019-04) gibt es noch eine Hilfe, wie außerhalb von plastischen Bereichen, die zu erwartende Rissbreite abgeschätzt werden kann – diese ist maßgeblich vom Verhaltensbeiwert q abhängig, mit welchem der Tragwerksplaner / Statiker die Bemessung des Stahbetonbauteils unter Erdbebeneinwirkung durchgeführt hat: Für Bauwerke und Bauteile, die unter der Annahme eines Verhaltensbeiwertes q = 1,0 bemessen sind, kann davon ausgegangen werden, dass die Rissbreiten in der Bemessungssituation mit Erdbeben kleiner als 0,3 mm bleiben. D.h. es genügt ein Dübel, der gemäß ETA für gerissenen Beton geprüft und zugelassen ist.

Für Bauwerke und Bauteile, die unter der Annahme eines Verhaltensbeiwertes 1,0 < q ≤ 1,5 bemessen sind, kann davon ausgegangen werden, dass die Rissbreiten in der Bemessungssituation mit Erdbeben kleiner als 0,5 mm bleiben. D.h. es werden Dübel mit einer seismischen Leistungskategorie C1 erforderlich.

Für Bauwerke und Bauteile, die unter der Annahme eines Verhaltensbeiwertes 1,5 < q ≤ 3 bemessen sind, muss davon ausgegangen werden, dass die Rissbreiten in der Bemessungssituation mit Erdbeben größer als 0,5 mm werden können. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Rissbreiten nicht größer als 0,8 mm werden. Hierfür müssten Dübel mit einer seismischen Leistungskategorie C2 benötigt.

Aufgrund der Rückmeldung einiger Tragwerksplaner und Prüfingenieure, welche in den Erdbebengebieten in Deutschland Erfahrung haben, wird meistens von einem Verhaltensbeiwert von q = 1,5 ausgegangen, bzw. dieser rechnerisch angesetzt. Bei Ansatz dieses Verhaltensbeiwerts ist die konstruktive Durchbildung deutlich einfacher, als bei kleineren Verhaltensbeiwerten. Größere Verhaltensbeiwerte als 1,5 werden im Stahlbetonbau üblicherweise nicht angesetzt. Somit ist in den deutschen Erdbebengebieten meist von einer Rissbreite in Stahlbetonbauteilen von wk = 0,5 mm auszugehen und ein Dübel mit einer seismischen Leistungskategorie C1 einzusetzen.

Die in Deutschland relevanten Erdbebengebiete sind:

Die Niederrheinische Bucht, der Rheingraben und die Bodenseeregion, der Schwarzwald und die Schwäbische Alb und das Vogtland.

Folgende, für Erdbeben zugelassene Dübelarten gibt es bislang: Bolzenanker [z.B. fischer FAZ II (C1; C2)], Betonschrauben [z.B. fischer Ultracut FBS II (C1; C2)], Hülsenanker [z.B. fischer Hochleistungsanker FH II (C1; C2)], Verbundanker mit verschiedenen Ankerstangen und Ankerstangengeometrien oder Betonstabstahl in Verbindung mit verschiedenen Mörteln [z.B. fischer Ankerstangen FIS A M / RG M oder Betonstabstahl B500 mit fischer Injektionsmörtel FIS V (C1; C2), FIS EM Plus (C1; C2), FIS SB (C1; C2) oder Injektionsmörtelpatronen z.B. fischer RSB (C1)].

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