Biwak in Nepal:

Wie von einem anderen Stern

Biwak in Nepal:

Wie ein Raumschiff, das zufällig hier gelandet ist. Irgendwo im Nirgendwo. So unwirklich mutet der Blick auf das David Lama Biwak an. Und irgendwie ist es das auch. Aufgebaut von Menschen, die aus einer anderen Welt nach Nepal kamen, um 2019 das erste Not-Biwak im Himalaya zu errichten. Auf 5080 Metern Höhe haben sie eine unfassbare Leistung vollbracht.

Dicht an der Grenze zu Tibet, leicht unterhalb des Bergübergangs zwischen dem Rolwaling- und dem bekannten Khumbu-Tal (Trashi Labtsa Pass), das zum Everest-Gebiet zählt: Der Trekking-Tourismus boomt in dieser Region. Dabei suchen längst nicht alle Bergsteiger nur den Weg zum Mount Everest, dem höchsten Punkt der Erde (8848 m). Immer mehr Besucher wählen bewusst Routen abseits des Massentourismus, um auf dem Wegenetz des Great Himalaya Trail die landschaftliche Schönheit und Abgeschiedenheit zu erleben.

Ralf Ohnmacht, Mit-Initiator des Biwak-Projekts, kennt das Rolwaling-Tal im Nordosten Nepals. Und er kennt die Probleme der touristisch noch wenig erschlossenen Region und ihrer Bewohner. Mit dem 42-jährigen Österreicher sprachen wir über die Umsetzung des Projekts sowie die Schwierigkeiten bei Logistik, Aufbau und Befestigung des Biwaks unter widrigen Bedingungen.

„Wir haben nie Biwaks gebaut, um damit Geld zu verdienen. Für uns sind die Biwak-Schachteln, die wir alle paar Jahre mal bauen, eine sehr idealistische Angelegenheit.“ – Ralf Ohnmacht, Mit-Initiator der Expedition zum Aufbau der Notunterkunft.
Copyright: Stefan Voitl
Ralf Ohnmacht
Das höchste Biwak, das du je gebaut hast.

Ralf Ohnmacht (42 Jahre) kommt aus einer Familie mit Architekten und Technikern. Kein Wunder, dass sich der gebürtige Innsbrucker nach dem Gymnasium für ein Ingenieur-Studium entschied. Nach Stationen als Technischer Berater bei „Ärzte ohne Grenzen“ und bei Voigt+Wipp Industrial Research leitet Ohnmacht heute ein Ingenieurbüro für Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Gewissermaßen nebenbei plant und baut der Diplom-Ingenieur sogenannte Polybiwaks aus Aluminium. Die achteckigen Biwak-Schachteln hat vor fast 50 Jahren sein Vater Helmut entwickelt. Dafür erhielt er 1971 einen Staatspreis für Design. Die Biwaks sind heute weltweit im Einsatz. Unter anderem stehen acht dieser Notunterkünfte in der Antarktis sowie zehn in den Alpen.

Herr Ohnmacht, wie kam es zu der Idee, ein Not-Biwak im Himalaya zu bauen?

Ralf Ohnmacht: Der Auslöser war ein Erdbeben im Jahr 2015, welches das Rolwaling-Gebiet sehr hart getroffen hatte. In den folgenden zwei Jahren sind viele spontane Hilfsprojekte entstanden, um Häuser, Wege und Infrastruktur wiederaufzubauen. Dabei ist die Problematik der schwierigen Überquerung des Trashi Labtsa Passes ins Blickfeld der beiden Tiroler Helfer Josef Einwaller und Stephan Keck gerückt.

Und die beiden haben dann bei Ihnen angerufen?

 Ralf Ohnmacht: Ja, Josef Einwaller rief mich an und sagte: „Wir brauchen ein Biwak – das höchste, das du je gebaut hast!“ Das war im Frühjahr 2017.

Und wie ging’s dann weiter?

Ralf Ohnmacht: Wir waren uns sehr schnell einig, dass wir die Expedition als privates Hilfsprojekt durchziehen möchten. Also haben sich Josef, Stephan und ich zusammengesetzt und mit der Planung begonnen.

Als Standort wählten Sie das Rolwaling-Tal, abseits des Massentourismus – warum?

Ralf Ohnmacht: Sowohl Wetterverhältnisse als auch die Felslandschaft selbst sind extrem. Nirgendwo gibt es sichere Übernachtungsmöglichkeiten, die Gefahr von Steinschlag ist hoch. Außerdem zählt das Rolwaling-Tal zu den von Erdbeben am stärksten betroffenen Gebieten im Himalaya. Dies alles führt dazu, dass immer wieder Menschen am Passübergang ihr Leben lassen. Und das sind hauptsächlich lokale Bergführer und Träger, die von der eher armen Rolwaling-Region in die reichere Region Khumbu pendeln, um dort zu arbeiten oder Handel zu treiben. Mit der Notunterkunft wollten wir ganz konkret die Sicherheit der Menschen in der Rolwaling-Region erhöhen und gleichzeitig die Tourismusentwicklung und den Handel fördern, um dadurch die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung zu verbessern.

Für welche Art Biwak haben Sie sich entschieden?

Ralf Ohnmacht: Aufgrund der Lage auf über 5000 Metern und der enormen logistischen Herausforderungen haben wir uns für einen abgemagerten Typ des Polybiwaks entschieden – mit materialsparender Grundkonstruktion, vereinfachtem Wandaufbau und abgespecktem Innenleben. Betten und Isolierung haben wir ebenfalls erst einmal weggelassen; dies wird aber im nächsten Anlauf nachgerüstet.

Das Polybiwak

Aufbauend auf einem modularen System, besteht das Biwak aus leichten, vorgefertigten Einzelelementen. Die bauphysikalisch einwandfreie Konstruktion wird geländeunabhängig auf einem MERO-Raumfachwerk aufgebaut. Der Zusammenbau von Typen unterschiedlicher Größe und Funktion erfolgt vor Ort in kurzer Zeit und minimiert Montage- und Flugkosten. Polybiwaks bewähren sich seit nunmehr 50 Jahren als Forschungsstationen und Unterkünfte in den Eiswüsten der Antarktis und außerdem als Messstationen und als (Not-)Biwaks in den heimischen Alpen. Das Biwak im Rolwaling-Tal wird nach Fertigstellung 15 Schlafplätze bieten. Durch seine aerodynamische Form sowie hochqualitative, nicht-rostende und UV-beständige Werk- und Dichtstoffe ist es extrem wind- und wetterresistent.

Erfolg im zweiten Anlauf

Was muss bei der Planung einer solchen Expedition alles beachtet werden?

Ralf Ohnmacht: Das sind unglaublich viele Details. Die Fragen – Wo genau soll die Notunterkunft stehen? Welchen Biwak-Typ verwenden wir? Und wie finanzieren wir das Ganze? – sind das eine. Das andere sind die konkreten logistischen Vorbereitungen: Wie bekommen wir das Material auf 5080 Meter Höhe? Welche Genehmigungen werden benötig? Was kann per Hubschrauber, was muss zu Fuß transportiert werden? Usw. Am Ende sind wir 2018 genau an dieser Vielzahl von organisatorischen Fragen gescheitert. Also haben wir das Biwak auf 4000 Metern Höhe zwischengelagert und sind unverrichteter Dinge wieder nach Hause geflogen.

Mit welchem Ziel?

Ralf Ohnmacht: Wir wollten ein Jahr später zurückkehren und mit Hubschrauber-Unterstützung unsere Mission vollenden.

Eine Woche zu Fuß mit all dem Gepäck – das ist gewaltig!

Ralf Ohnmacht: Das stimmt – vor allem weil die Wege zum Teil extrem schwierig waren. Am Anfang ging es drei Tage lang nur über

 

Gletschermoränen, Eis und Steine. Dann wieder abwechselnd über Eisrinnen und Klettersteige. Erschwerend kam hinzu, dass die Biwakteile nicht einfach von Katmandu mit dem Hubschrauber auf den Pass geflogen werden konnten.

Warum nicht?

Ralf Ohnmacht: Das ist von den Höhen her unmöglich. Ein Hubschrauber, der in den Niederungen der Alpen vielleicht 800 Kilogramm schwere Teile fliegen kann, kann auf über 5000 Metern Höhe mit der Long-Line aus Sicherheitsgründen maximal 150 Kilogramm transportieren. Eine große Werkzeugkiste plus etwas Material bedeuten da bereits einen Flug.

Wie haben Sie das gelöst?

Ralf Ohnmacht: Die nepalesischen Träger haben die rund drei Meter langen Aluminiumteile für das Biwak tagelang über Stock und Stein getragen. Nur für die letzten Höhenmeter haben wir einen Helikopter benötigt.

Stolze Baumeister (v.l.): Stefan Voitl, Stephan Keck, Peter Ortner und Ralf Ohnmacht vor dem David Lama Biwak (5080 m).
Copyright: Fabio Keck/Bergkult Productions

Gut ein Jahr nach dem gescheiterten Versuch kehrte im Oktober 2019 ein 15-köpfiges Team zurück nach Katmandu. Aufgrund der großen Mengen an Werkzeug und Equipment charterte das Team zunächst in Katmandu einen Bus. Mit diesem ging es rund zwölf Stunden lang von der nepalesischen Hauptstadt bis zum Naa-Tal, nahe der tibetanischen Grenze. Von rund 1300 Metern Höhe marschierte der Treck dann etwa eine Woche zu Fuß bis zum Aufbaupunkt des Biwaks im Rolwaling-Tal. Dabei musste das Team, das zeitweise von bis zu 25 nepalesischen Trägern begleitet wurde, fast 4000 Höhenmeter überwinden. Um das Auftreten von Höhenkrankheit zu vermeiden, wurde die Etappen bewusst klein gehalten. Dadurch konnten sie sich Schritt für Schritt an die Höhe gewöhnen. Auch die Schlafhöhen hatten pro Tag nicht mehr als 300 bis 400 Höhenmeter Abstand.

Haben wir auch nichts vergessen? Die Expeditionsteilnehmer kontrollieren vor dem Start noch einmal das gesamte Material.
Copyright: Fabio Keck/Bergkult Productions
Maximal 150 Kilogramm kann ein Helikopter auf über 5000 Metern mit der Long-Line transportieren. Alles andere wäre lebensgefährlich.
Copyright: Fabio Keck/Bergkult Productions

Und dann kam der Aufbau …

Ralf Ohnmacht: Ja, das war noch mal eine Energieleistung. Wir haben das Biwak innerhalb von zwei Tagen auf einem Felsen zwischen zwei Gletschern aufgebaut, wo es links und rechts ziemlich runterging. Das war schon eine exponierte Stelle. Am Ende lief aber alles problemlos.

Inklusive der Befestigung mit FIS SB High Speed 390 S von fischer?

Ralf Ohnmacht: Der schnell härtende Mörtel war ideal für die extremen Temperaturen und Bedingungen im Himalaya. Dass der Superbond-Mörtel auch noch die ETA-Zulassung für gerissenen Beton und seismische Belastungen hat, gibt uns zusätzlich ein gutes Gefühl. Wir sind fischer sehr dankbar, dass sie uns so gut beraten und die 24 Kartuschen gesponsert haben. Schließlich soll das Biwak auch in 50 Jahren noch stehen.

Wie genau lief die Verankerung des Polybiwaks auf dem Felsen ab?

Ralf Ohnmacht: Das Biwak steht auf sechs „Beinen“ mit beweglichen Bodenplatten, die jeweils mit 4 M20 Gewindeankern etwa 30 cm tief im Fels verankert wurden. Für die Bohrungen hatten wir zwei batteriebetriebene Bohrhämmer und einen tragbaren Generator zum Aufladen der Akkus in Verwendung. Gitterhülsen waren aufgrund des homogenen und kompakten Gesteins nicht notwendig. Hier möchte ich noch einmal im Namen meiner Organisationskollegen der Firma Trierer Werkzeughandel GmbH in Trier danken, die sich in Person von Christian Klemens nicht nur um die technische Planung der Befestigung gekümmert haben, sondern auch zahlreiche Werkzeuge und Maschinen gesponsert haben. Darüber hinaus war mit Frank Flohe ein TWH-Mitarbeiter Teilnehmer der Expedition.

Was für eine Energieleistung: Innerhalb von zwei Tagen bauten die Helfer das Biwak auf dem Felsen auf.
Copyright: Stefan Voitl

Der Great Himalaya Trail

Der Great Himalaya Trail (GHT) ermöglicht eine Längsdurchquerung des nepalesischen Teils des Hochgebirges. Auf rund 1700 Kilometern überqueren Bergsteiger bis zu 29 Pässe, von denen der höchste 6200 Meter hoch ist. Die beste Zeit für die Tour ist von Februar bis Juli und von Mitte September bis Mitte Dezember. Wer den kompletten GHT entdecken möchte, sollte zwischen 150 und 170 Tage einplanen.

sc10-cd-1